Auf der Alp Schräa im Calfeisental tummelt sich derzeit eine Wolfsfamilie. Die Wolfsjungen spielen bei den Kühen und die erwachsenen Wölfe – auch der Leitwolf – haben ihre Scheu verloren. Natürlich geht das nicht. Auch wenn Wolf-Experten versichern, dass Wölfe keine Menschen angreifen: Es ist mehr als verständlich, dass die Hirtin Lorena Ritter ihren Hund und ihre Kühe schützen möchte, dass sie auch fürchtet, am Ende noch selbst angegriffen zu werden. Denn Verwandte des Wolfes wie zum Beispiel Rottweiler haben auch schon Menschen schwer verletzt oder gar getötet. Zudem greift ein Wolf nicht alleine an, er tut es mit einer deutlich grösseren Stärke in der Gruppe. Der Hirtin ist nicht damit geholfen, wenn man bei einem Unfall dann sagt, das seien halt abnormale Wölfe gewesen. Ich verstehe auch die Eltern von Kindern, die Angst haben, weil auf deren Schulweg gelegentlich Wölfe auftauchen, wie das schon vorgekommen ist in Vättis und im Schilstal. Grundsätzlich befürworte ich, dass es gelungen ist, in der Schweiz Bartgeier, Luchs und Wolf wieder anzusiedeln. Es ist eine Bereicherung. Bartgeier und Luchs stellen für den Menschen keine Gefahr dar. Beim Wolf ist das nicht so sicher. Deshalb dürfen wir nicht von einem Extrem, der Ausrottung des Wolfes, zum anderen Extrem übergehen, zu dessen absolutem Schutz. Wenn es keine technisch wirksame Vergrämung von zu wenig scheuen Wölfen gibt, dann müssen das Rudel oder einzelne Mitglieder ausgelöscht werden. Rascher als bis jetzt. Auf der Alp Schräa hat es klar zu lange gedauert. Ernsthafte Gefährdung des Menschen durch den Wolf geht nicht.

Viel gefährlicher sind für den Menschen aber Autos. Das geht in dieser Diskussion vollständig vergessen. In der Schweiz verunfallen jährlich 170 Kinder schwer durch Verkehrsunfälle, etwa sieben davon sterben. Durch den Wolf ist seit dessen Rückkehr vor mehr als zehn Jahren weder ein Kind gestorben noch eines verunfallt. Im Sarganserland gibt es aktuell wegen der Gefahr des Wolfes eine starke und nachvollziehbare Empörung. Wegen der Gefahr des Autos, die viel grösser ist, passiert fast gar nichts. Im Gegenteil: Der Versuch, die Verkehrsgefahren mit Massnahmen wie Tempo 30 innerorts zu reduzieren, wird in unserem Kanton von der bürgerlichen Mehrheit sogar bekämpft. Dies sei eine Drangsalierung der Autofahrer. Diese Politiker gehören denselben Parteien an, von denen gerade hoch Prominente auf die Alp Schräa gepilgert sind, um die dortigen Zustände öffentlich zu beklagen. Es ist richtig, sich für diese Hirtin einzusetzen. Wichtiger aber wäre, sich noch mehr für die von den Autos gefährdeten Kinder einzusetzen. Dieselben Politiker, die sich wegen des Wolfs empören, wollen aktiv verhindern, dass in stark besiedelten Gebieten wie in St. Gallen oder Sargans die Autos auf stark von Kindern und anderen Fussgängern genutzten Hauptstrassen langsamer fahren müssen. Obwohl längst bekannt ist, dass bei Unfällen Tempo 50 zu schweren Verletzungen oder gar zum Tod führen kann, bei 30 aber fast nicht mehr. Obwohl bekannt ist, dass fast die Hälfte dieser Unfälle sich auf dem Schulweg ereignen. Obwohl bekannt ist, dass Kinder Geschwindigkeiten erst mit etwa elf Jahren korrekt einschätzen können.

Ich werde bei Wolf und Auto Hand bieten zu besseren Lösungen. Aber ich erwarte und werde mich dafür einsetzen, dass man die Gefahren der Kinder durch die Autos deutlich weiter oben auf die Liste setzt.

– Dieser Text erschien als Tribüne im Sarganserländer am 22. August 2023